Die Entstehungsgeschichte Des Nathan Des Weisen
Essay by review • December 5, 2010 • Research Paper • 7,122 Words (29 Pages) • 3,268 Views
Einleitung
Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muss. Religion, durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre MajestÐ't, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und kцnnen auf unverstellte Achtung nicht Einspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewillt, was ihre freie und цffentliche PrÑŒfung hat halten mÑŒssen." (Hermes, S. 12). Diese Worte Kants fallen in eine Zeit in der die evangelisch-lutherische Kirche und der absolutistische Staat durch das Landeskirchentum ein enges BÑŒndnis geschlossen hatten und so nur schwer angreifbar waren. Das musste auch Gotthold Ephraim Lessing feststellen. Er wurde am 22.1. 1729 im Kamenz geboren und wuchs in der christlichen Tradition des vÐ'terlichen evangelisch- lutherischen Pfarrhauses und der FÑŒrstenschule St. Afra in MeiЯen auf. Obwohl er das vom Vater gewÑŒnschte Theologiestudium schon nach einem Jahr abbrach, durchziehen theologische Fragen doch groЯe Teile seines Werkes, was besonders im letzen Jahrzehnt seines Lebens sichtbar wurde: Er fÑŒhrte nicht nur erbitterte theologische Diskussionen, er verцffentlichte auch „Nathan den Weisen", „Die Freimaurer" und die Erziehung des Menschengeschlechts". Auf eben erwÐ'hnte theologische Diskussion, auch Fragmentenstreit gennant, bei der Lessing die Macht der anfangs genannten theologisch-staatlichen Allianz zu spÑŒren bekommt, und auf den darauffolgenden „Nathan" mцchte ich in dieser Arbeit eingehen. Da mein Augenmerk dabei speziell auf dem Thema „Entstehungsgeschichte des Nathan" liegt, werde ich allgemein beleuchten, was Lessing zum Nathan inspiriert hat, und das war eben nicht nur der Fragmentenstreit, sondern auch andere literarische, historische und biographische Quellen.
Nathan als 12 Anti-Goetze
1767- 69 arbeitet Lessing am hamburgischen Nationaltheater als Dramaturg. Zu dieser Zeit ist Johann Albert Hinrich nicht nur sein Arzt, er darf auch seine Bibliothek benÑŒtzen, auЯerdem ist er mit Hinrichs Schwester Elise Reimarus gut befreundet. Durch diese beiden Geschwister gelangt Lessing an die „Apologie oder Schutzschrift fÑŒr die vernÑŒnftigen Verehrer Gottes", die deren Vater Herman Samuel Reimarus geschrieben hat. Reimarus ist ein angesehener hamburger BÑŒrger, der eine Professur fÑŒr hebrÐ'isch und orientalisch am Akademischen Gymnasium bekleidet. In seiner Apologie ÑŒbte der Deist Reimarus eine radikale Bibel-und Dogmenkritik, er ging dabei soweit die Offenbarungslehren zu bezweifeln. Seiner Meinung nach enthalte die reine Lehre Christi „eine vernÑŒnftige praktische Religion". Nur durch die Apostel, die Wundergeschichten in ihre Berichte eingefÑŒhrt hÐ'tten, sei diese Lehre zu dem gemacht worden was sie heute ist, nÐ'mlich eine Religion die sich mit der Vernunft nicht vereinbaren lÐ'sst. Z.B. behauptet er anhand von WidersprÑŒchen in der Auferstehungsgeschichte schlussfolgern zu dÑŒrfen, dass die Jesu JÑŒnger die Leiche des gekreuzigten Jesu selbst haben verschwinden lassen, um durch die Osterpredigt AnhÐ'nger zu gewinnen und sich somit selbst zu Aposteln aufwerten zu kцnnen. Seiner Auffassung nach, hat Gott die Welt erschaffen, mit vernÑŒnftigen Naturgesetzen ausgestattet und sie sich dann selber ÑŒberlassen, so dass sie nun ihren natÑŒrlichen Gang geht. Wunder oder gar Offenbarungen haben in Reimarus Religionslehre keinen Platz. So radikal diese Kritik ist, so gefÐ'hrlich ist sie auch fÑŒr denjenigen, der sie verцffentlicht. Reimarus hat diesen Mut nicht, denn er kann, wie im Vorbericht geÐ'uЯert, „nicht auf Toleranz hoffen". Lessing dagegen hÐ'lt die Zeit fÑŒr reif: In den Kцpfen der Leute sind die Ideen, wenn auch oft in nicht ganz so radikaler Form, weit verbreitet, aber die Kirche verbietet die Ð"uЯerung dieser Gedanken. Lessing mцchte diese festgefahrenen Bedingungen aufbrechen und eine цffentliche Diskussion ÑŒber Religion mцglich machen. Doch sein erster Verцffentlichungsversuch scheitert an der Zensur. Erst 1774 findet Lessing eine Mцglichkeit, inzwischen arbeitet er in WolfenbÑŒttel in der herzoglichen Bibliothek. Um diese ÑŒber die Grenzen der Staat hinaus bekannt zu machen, gibt er die „BeitrÐ'ge zur Geschichte und Literattur. Aus den SchÐ'tzen der herzoglichen Bibliothek zu WolfenbÑŒttel" heraus, die generell von der Zensur befreit werden. 1774 erscheint das erste Fragment, also nur ein Teil Reimarus Analogie, unter dem Titel „Fragmente eines Ungenannten. Von der Duldung der Deisten." Lessing respektiert auf diese Weise den Wunsch der Geschwister Reimarus, Reimarus selbst ist 1768 gestorben, nicht den Originalverfasser zu nennen, denn die Geschwister haben ernsthafte RufschÐ'digungen und Represalien zu befÑŒrchten. 1777 folgen weitere fÑŒnf Fragmente unter dem Titel „Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten, die Offenbarung betreffend", 1778 folgt dann das offensivste Fragment indem die Auferstehung angezweifelt wird: „Von dem Zwecke Jesu und seinen JÑŒngern." In den BeitrÐ'gen trÐ'gt Lessing aber auch einem weiteren Verцffentlichungsgrund Rechnung; der Wunsch nach religiцsen Diskussionen bedeutet fÑŒr ihn nicht, dass er mцchte Reimarus Lehren sollen sich durchsetzen. Er lehnt diese genau so ab wie die orthodoxen, also nutzt er den Rahmen auch um an Deismus Kritik zu ÑŒben indem er, auЯer dem letzen Fragment, allen Fragmenten die „GegensÐ'tze des Herausgebers" gegenÑŒberstellt. Die dabei von ihm eingenommene religiцse Anschauung ist dabei schwer zu bestimmen. Er selbst schwankt: „Was Wunder also, dass meine LektÑŒre ebenfalls [auf Modeschriften] (Lessing meint christliche Schriften H.I.) verfiel und ich gar nicht eher ruhen konnte, bis ich jedes neue Produkt in diesem Fache habhaft werden und verschlingen konnte...Nicht lange, und ich suchte jede neue Schrift wider die Religion nun ebenso begierig auf und schenkte ihr ebendas unparteiische Gehцr, das ich sonst nur den Schriften fÑŒr die Religion schuldig zu sein glaubte... Ich war von einer Seite zur anderen gerissen, keine befriedigte mich ganz." (Abhandlungen ÑŒber Bibliolaterie). Und tÐ'tsÐ'chlich schlieЯt er sich keiner der damals gÐ'ngigen theologischen Vorstellungen an, weder den Neologisten, noch den Deisten oder den Orthodoxen. Seine Ansichten formuliert er in einem der GegensÐ'tze wie folgt: „Kurz der Buchstabe ist nicht der Geist; und die Bibel ist nicht die Religion. Folglich sind EinwÑŒrfe gegen den Buchstaben, und gegen die Bibel, nicht eben auch EinwÑŒrfe gegen den Geist und die Religion.
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